Ein Unternehmen komplett umkrempeln und auf agile Methoden umstellen, obwohl die Geschäfte gut laufen? Das kann durchaus sinnvoll sein, vor allem mit Blick auf Zukunftsfragen wie: Wie wird die Digitalisierung die Gesellschaft und die Arbeitswelt weiter verändern? Und was bedeutet das sowohl für die internen Abläufe als auch für die Erwartungen der Kund*innen? Agiles Arbeiten kann die Antwort sein. Es steht für eine Führungskultur, die weniger in Hierarchien denkt und eine Arbeitsweise ermöglicht, die schnell auf Veränderungen reagiert.
ING Deutschland, die drittgrößte Bank Deutschlands, und netzwerk P, eine Marketingagentur mit Sitz in Stuttgart und Berlin, sind den Schritt gegangen. Ihre Erfahrungen zeigen, worauf es bei der Umstellung auf agile Arbeitsweisen ankommt.
Die sieben Elemente agiler Führungskultur bei der ING Deutschland
Agiles Arbeiten bringt veränderte Prozesse und Aufgaben mit sich. Neue Jobprofile entstehen, Hierarchien werden abgebaut. Die ING Deutschland setzt dabei auf sieben Prinzipien.
Agilität bedeutet, das bisherige Arbeiten in „Silos“ komplett aufzugeben und neue Strukturen zu etablieren. Die Veränderungen sind tiefgreifend und für manche vielleicht beängstigend, aber wichtig. Denn sie schaffen Raum für Neues.
Kurze tägliche Meetings, sogenannte Daily Stand-ups, dienen dazu, Fortschritte und Hindernisse zu reflektieren. Die Mitarbeiter*innen priorisieren ihre Arbeit gemeinsam, legen Teilziele fest und verteilen die Aufgaben.
Die festgelegten Teilziele werden in sogenannten Sprints umgesetzt. Das sind kurze Projektphasen, in denen die Beteiligten ihre Aufgaben abarbeiten. Dabei kommen verschiedene agile Methoden zum Einsatz.
Das Ziel hinter der Umstellung auf agiles Arbeiten ist klar, nicht aber, wie das Unternehmen ING am Ende wirklich aussehen wird. Die Mitarbeiter*innen tasten sich Stück für Stück vor und setzen nur die Änderungen um, die gemeinsam als sinnvoll erachtet werden.
Die Beschäftigten von ING sind von Anfang an in die Umstrukturierung einbezogen. So legt eine Gesamtbetriebsvereinbarung die Rahmenbedingungen für die Neustrukturierung fest. Mitarbeiter*innen, die mit ihrer angedachten neuen Rolle nicht glücklich waren, konnten dies offen äußern. Im Gespräch mit der Führungskraft wurden individuelle Lösungen gefunden, zum Beispiel der Wechsel auf eine andere Position.
Hybride Führungskultur bei netzwerk P: In fünf Schritten zu mehr Agilität
Agil, wo es nötig ist – klassisch, wo es möglich ist. So lautet der Grundgedanke bei netzwerk P. Für die Mitarbeiter*innen der Marketingagentur heißt das: Sie können an einer Stelle einen agilen Ansatz verfolgen, in dem sie zum Beispiel als Product Owner ein agiles Entwicklungsteam führen. An einer anderen Stelle können sie weiterhin einen klassischen Ansatz verfolgen, der sich durch einen festen Ablauf von Konzeption, Design, technischer Umsetzung, Roll-out und Support auszeichnet.
Das Ziel des hybriden Ansatzes bei netzwerk P: Die Mitarbeiter*innen sollen sich in beiden Welten bewegen können, je nach ihren Fähigkeiten und ihrer Arbeitsauslastung und je nach dem, was für das konkrete Projekt am sinnvollsten ist. Um die Mitarbeiter*innen auf das agile Arbeiten vorzubereiten und sie während des Prozesses mitzunehmen, setzte netzwerk P auf folgende Schritte:
Zu Beginn des Prozesses führte die Agentur über 120 Gespräche mit Mitarbeiter*innen. Alle Beschäftigten wurden gefragt: Was willst du wirklich bei uns tun? Wo siehst du deine Stärken und Fähigkeiten? Oder: Wo gibt es Lücken im Prozess?
Anschließend hat netzwerk P einen Kreis von 20 Multiplikator*innen gebildet. Diese Beschäftigten trieben den Wandel aktiv voran und traten als Botschafter*innen gegenüber der Belegschaft auf. Sie diskutierten regelmäßig gemeinsam den Fortschritt des Transformationsprozesses.
Im Zuge der Umstrukturierung führte die Agentur ein unternehmensweites Barcamp ein. Alle drei Monate haben die Mitarbeiter*innen die Möglichkeit, vier Stunden lang in vier Räumen aktiv an selbst eingebrachten Themen zu arbeiten.
Seither gilt auch: Mindestens 20 Prozent der Arbeitszeit stehen den Mitarbeiter*innen für ihre persönliche Weiterbildung frei zur Verfügung – sei es, um einen Podcast zu hören, eine Veranstaltung zu besuchen oder einen Blogbeitrag zu verfassen. So bleiben die Beschäftigten in einer immer schnelleren Arbeitswelt auf dem Laufenden und können ihre Interessen im Arbeitskontext vertiefen.
Der Umstellungsprozess wurde von zwei Projektmanager*innen gesteuert. Sie teilten sich die Aufgabe, gaben sich gegenseitig Feedback und unterstützten sich bei Problemen.