5 Minuten Lesezeit „Der Weg zu­rück in die Prä­senz­kul­tur wä­re ei­ne ver­ta­ne Chan­ce” Magazin Neuigkeiten
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Vor Kurzem hat die Initiative D21 eine Befragung zum Thema Homeoffice veröffentlicht. Im Interview mit INQA spricht sie über Herausforderungen für Führungskräfte und Beschäftigte, Homeoffice-Routinen und die Ergebnisse der Studie „Homeoffice in Zeiten von Corona“.

Seit 2014 leitet Lena-Sophie Müller als Geschäftsführerin die gemeinnützige Initiative D21 e.V., Deutschlands größtes Digital-Netzwerk aus Politik und Wirtschaft. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Beirat Junge Digitale Wirtschaft des Bundesministers für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier (seit 2020), Mitglied im Digitalrat des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) sowie im Digitalrat der BDA (seit 2019). 2018-2020 war Müller Sachverständige der Enquete Kommission „Künstliche Intelligenz“ des deutschen Bundestages.

Frau Müller, können Sie uns die Kernthesen der Studie zum Homeoffice in Corona-Zeiten kurz vorstellen?

Homeoffice und mobiles Arbeiten haben durch Corona einen enormen Schub erhalten, im Vergleich zum Vorjahr arbeiten mit nun 32 Prozent doppelt so viele Menschen im Homeoffice wie zuvor, unter Bürojob lag der Anteil sogar bei 59 Prozent. Sehr viele Menschen gingen erstmalig ins Homeoffice – das ist in vielerlei Hinsicht eine große Herausforderung; Das betrifft natürlich Bereiche wie die Infrastruktur, aber ebenso relevant ist das Aufbrechen gewohnter Abläufe und Routinen: Arbeitsorganisation, Selbstorganisation, Zwischenmenschlicher Kontakt, Führung, etc. Eine weitere Kernerkenntnis: Das Homeoffice funktionierte zum Zeitpunkt der Befragung im Juli 2020 größtenteils und die Erfahrungen waren überwiegend positiv, die Mehrheit gibt an, effektiver arbeiten zu können.

Ein Drittel (33 Prozent) derjenigen, die im Homeoffice gearbeitet haben, möchte im Normalfall etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen. Weitere 37 Prozent geben an, etwas weniger als die Hälfte im Homeoffice sein zu wollen. Daraus leiten wir die zentrale These ab, dass sich die Arbeitswelt nachhaltig verändern wird und wir werden zumindest in Teilen der Gesellschaft einen „neuen Normalzustand“ sehen. Die Anschlussthese ist, dass diese nachhaltig veränderten Arbeitsweisen Folgen für das gesamte 360-Grad-Ökosystem der Menschen nach sich ziehen werden.

Wir erachten es daher als sehr wichtig, dass wir frühzeitig aus den Erfahrungen dieser massiven Veränderungen lernen und die richtigen Weichenstellungen vornehmen, um bestmögliche Voraussetzungen für Homeoffice, flexibles Arbeiten und darüber hinaus zu schaffen.

Daher haben wir bereits im Vorfeld diese Ergebnisse aus unserer Gesellschaftsstudie D21-Digital-Index 2020 / 2021 veröffentlicht, die Ende Februar erscheint. Außerdem arbeiten wir aktuell an genau diesen 360-Grad-Auswirkungen z. B. auch auf Verkehr, Gesundheit, Leadership und Bildungsanforderungen. Damit verfolgen wir ähnliche Ziele wie auch der neue Schwerpunkt der Denkfabrik zur Arbeitsgesellschaft 2040 vom BMAS.

Eine Aussage der Studie: Homeoffice ist sehr beliebt - außer bei den Führungskräften. Warum ist das so?

Man muss die Auswirkungen von Homeoffice aus verschiedenen Perspektiven betrachten und beurteilen. Unsere Erhebungen ergaben, dass über die Hälfte der Angestellten gerne mehr im Homeoffice arbeiten würde, aber nur ein Viertel der Führungskräfte ihre Angestellten gerne mehr in Selbigem sehen würden. Wir sind noch zurückhaltend mit Interpretationen. Denn das bedeutet nicht automatisch, dass Führungskräfte den Verlust von Kontrolle fürchten oder es ihren MitarbeiterInnen nicht gönnen würden. Wir vermuten, dass diese Zahlen Ausdruck zweier sehr unterschiedlicher Perspektiven sind: Während die Angestellten oft direkter von den Vorteilen profitieren (Arbeitsweg entfällt, Zeit ist flexibler einteilbar, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ist unter Umständen leichter), sind die Führungskräfte für den reibungslosen Ablauf, die Sicherheit der Systeme, die rechtlichen Perspektiven, das Führen auf Distanz verantwortlich. Neben der Organisation der eigenen Arbeiten im Homeoffice stellen sich für sie daher auch die Fragen der Rahmenbedingungen und die Konsequenzen von Homeoffice.

Wir stellen in den Gesprächen mit unseren Mitgliedsinstitutionen immer wieder fest, dass dies aktuell eines der Top-Themen in den Betrieben ist und sehr ernst verfolgt wird. Beispielsweise durch regelmäßige Umfragen in der Belegschaft. Es ist gerade ein sehr großes Lernen auf allen Seiten.

Wie haben sich die Anforderungen an Führungsverhalten durch Homeoffice und die Corona-Krise verändert? Was bedeutet mobile Arbeit und Homeoffice dauerhaft für das Verhältnis zwischen Führungskräften und Beschäftigten?

Es ist anfänglich eine große Umstellung, wenn sich nicht mehr morgens um neun Uhr alle im Büro einfinden und bis zum Feierabend an ihren Schreibtischen sitzen. Stattdessen sehen und hören Führungskräfte Ihre MitarbeiterInnen unter Umständen auch mal über mehrere Stunden oder auch ganze Tage nicht.

Für alle Seiten ist das neu, die Angestellten brauchen größere Selbstorganisation und müssen aktuell häufig mit den Herausforderungen des Multitaskings durch Homeschooling zurechtkommen, während die Führungskräfte oftmals noch stärker in die Rolle der „Führung auf Distanz“ hineinwachsen müssen. Das ist vor allem dann wichtig, wenn überwiegend oder fast ausschließlich im Homeoffice gearbeitet wird: Wissen alle, was zu tun ist? Funktioniert die Technik, laufen Projekte und Zusammenarbeit untereinander? Bedarf das Team mehr Empathie, bleiben alle motiviert? Wer benötigt Aufmerksamkeit fernab der fachlichen Unterstützung? Denn auch abseits der unmittelbaren Arbeit muss man regelmäßig mit allen im Austausch bleiben und noch größeres Augenmerk auf das Wohlbefinden legen, das sich sehr stark unterscheiden kann. Für manche ist Homeoffice sehr entspannt, andere leiden stärker unter dem Alleinsein, manche haben beengte Wohnverhältnisse, für andere fällt parallel Homeschooling oder die Pflege von Verwandten an. Während im Büro die Arbeitsverhältnisse für alle gleich oder zumindest gleicher waren, ist es nun hochgradig individuell – dem muss ich auch als Führungskraft entsprechend individuell begegnen. Ich würde also behaupten: Es wird für Führungskräfte anspruchsvoller, mindestens aber eine große Umstellung der gewohnten Abläufe. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass man die Umstellung als einen Entwicklungsprozess nach vorne begreift: Nicht alles wird am Anfang perfekt sein, aber die Richtung muss stimmen. Wichtig ist es daher, regelmäßig zu evaluieren und nachzubessern.

Der Report 2020 des DGB-Index „Gute Arbeit“ behauptet: Wer mobil arbeitet, ist höheren Belastungen ausgesetzt - zum Beispiel wegen ständiger Erreichbarkeit. Stimmen Sie dieser Aussage zu? Falls ja: Wie können sich Beschäftigte, Führungskräfte, Selbstständige und alle anderen, die im Homeoffice arbeiten, vor zu hohen Belastungen schützen?

Die beschriebene Gefahr besteht sicherlich, und deswegen ist es so notwendig, diese auch transparent zu machen und zu thematisieren. Eine Herausforderung der Flexibilität ist, dass die Abgrenzung von Arbeits- und Privatzeit weniger klar ist, weil die Mitarbeitenden am Abend eben nicht das Büro hinter sich lassen und nach Hause fahre. Das wird zum Problem, wenn es zu einem psychischen Spannungsverhältnis und Stress führt, weil z. B. das Gefühl der ständigen Erreichbarkeit eintritt. Die andere Arbeitssituation ist für viele neu und alle müssen erst lernen, mit diesen Möglichkeiten umzugehen. Der Weg zurück in die Präsenzkultur als einzige Lösung wäre aus meiner Sicht eine vertane Chance.

Vielmehr sollten wir nach Lösungen zur Schaffung von neuen Rahmenbedingungen suchen, zum Beispiel ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit in den Firmenkulturen verankern oder verteilte Co-Working-Spaces fördern, die ein lokaleres Arbeiten ermöglichen, aber dennoch eine räumliche Trennung schaffen.

Eine weitere Lösungsoption kann sein, dass man gewisse Kernzeiten ausmacht, in denen alle erreichbar sind. Das müssen dann nicht acht Stunden sein, sondern vielleicht drei oder vier – und in dieser Zeit macht man dann bevorzugt Meetings, Telefonkonferenzen oder Telefonate. Den Rest des Tages teilen sich die Personen freier ein, je nach Arbeitslage und Terminen. Wer gerne den Rhythmus von 9 bis 17 Uhr beibehalten möchte, kann das tun. Aber es spricht auch nichts dagegen, wenn jemand den Arbeitstag aufteilt und lieber später arbeitet, weil er oder sie sich dann produktiver fühlt oder in der Zwischenzeit beispielsweise die Kinderbetreuung übernimmt. Dann verläuft Arbeit asynchroner – das bietet sich für manche Arbeiten gut an, für andere nicht und lässt sich daher nicht pauschal beantworten. Oft wird in den Diskussionen ja auch vergessen, dass dies für viele Menschen aufgrund des Berufs keine Option ist – denken sie an die Pflegekräfte, medizinisches Personal, SozialarbeiterInnen und die vielen Menschen, die aktuell z. B. den Dienstleistungssektor am Laufen halten.

Was sind Ihre persönlichen, praktischen Homeoffice-Tipps für Führungskräfte und ihr Führungsverhalten?

Ich fürchte, da gibt es leider kein Patentrezept, alle müssen ausprobieren, lernen und eine gute Lösung finden. Ich kann da nur aus meinem Erfahrungsschatz berichten: Mein Team und ich haben gemeinsam überlegt, wie wir neue Routinen im Homeoffice entwickeln können und was uns dabei wichtig ist. Wir haben dafür beispielsweise eine gemeinsame morgendliche Kaffeerunde etabliert, zu der alle kommen können, aber natürlich nicht müssen. So sieht sich der Großteil des Teams mindestens einmal am Tag und bleibt im Austausch, auch wenn man sonst wenig an gleichen Projekten arbeitet.

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