Was zuvor als absolute Ausnahme galt, wird zum Ausbildungsstart in 2020 für einige Betrieben Realität: Ausbildung im Homeoffice. Worauf müssen Betriebe und Lehrlinge jetzt achten?
Ein Ausbildungsstart im Homeoffice ist eine sehr schwierige Situation für alle Beteiligten. Schließlich geht es um die Vermittlung von praktischem Wissen. Damit sind ganz neue Herausforderungen verbunden – für die Betriebe ebenso wie für die Auszubildenden.
Ich empfehle jedem Betrieb, der Auszubildende ganz oder teilweise im Homeoffice einarbeitet, erfahrene Kolleg*innen als Coaches einzusetzen. Nicht jede*r Berufsstarter*in ist von Beginn an selbstorganisiert. Disziplin und Lernwilligkeit vorausgesetzt, kann der Coach seinen Schützling darin unterstützen, in den Arbeitsalltag hineinzufinden, Strukturen aufzubauen, Team- und Kommunikationsfähigkeiten zu entwickeln. Ein Ausbildungsstart im Homeoffice ist also keinesfalls personal- bzw. kostenschonend. Ganz im Gegenteil: Der Betreuungsbedarf ist deutlich höher und damit eine große Herausforderung – gerade für kleine Betriebe.
Ganz wichtig: Trotz Kontaktbeschränkungen sollte es möglich sein, zumindest dem Coach einmal die Woche physisch zu begegnen. Wenn es sich um einen größeren Betrieb handelt, dann sollten sich auch die Auszubildenden unter Einhaltung geltender Hygiene- und Arbeitsschutzstandards physisch treffen können, um ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln.
Wie sollten sich Betriebe technisch für die Ausbildung im Homeoffice ausrüsten?
Neben der Bereitstellung der technischen Grundausstattung führt kein Weg mehr an digitalen Kommunikationstools vorbei. Je nach Möglichkeit sollten Betriebe in diesen Zeiten digitale Anwendungen implementieren, die Interaktion und kreative Zusammenarbeit auch in größeren Gruppen ermöglichen. Berufe, in denen die Ausbildung im Homeoffice in der Masse noch kaum denkbar ist, wie etwa im Handwerk oder in der Produktion, könnten in Zukunft von Virtual Reality-Anwendungen profitieren, die die Lehrlinge virtuell an praktische Arbeitsschritte heranführen. Zeigen sich Betriebe offen und lernbereit, können die neuen Rahmenbedingungen auch eine Chance – gerade in Bezug auf die Zusammenarbeit - sein: Als „Digital Natives“ können Auszubildende ihre Kolleg*innen bei der Nutzung digitaler Tools unterstützen. Hierarchische Strukturen weichen dann dem Austausch und Lernen auf Augenhöhe – je nach Wissensstand und Kompetenz.
Mit Maskenpflicht und Sicherheitsabstand startet auch die Ausbildung vor Ort im Betrieb für viele Lehrlinge unter ungewohnten Bedingungen. Was sollten Betriebe und Auszubildende jetzt beachten?
Was jetzt zählt, ist Transparenz. Betriebe sollten zum Ausbildungsstart klar kommunizieren, welche Hygieneregeln gelten, wo besondere Rücksichtnahme geboten ist und was die Konsequenzen der Missachtung gesetzter Regeln sind. Es braucht Vorbilder im Betrieb und natürlich müssen auch die Auszubildenden Respekt und Rücksichtnahme zeigen. Kommt es zu Regelverstößen, sollten Ausbilder*innen, Auszubildende und Kolleg*innen das offene Gespräch suchen. Zugleich sollten die Betriebe ein offenes Ohr für die Lehrlinge haben, die besondere gesundheitliche Bedenken haben. Ängsten lässt sich durch klar kommunizierte Hygienekonzepte und Mitspracherechte vorbeugen. Auszubildende könnte z. B. auch stärker in die Konzeption des betrieblichen Ausbildungsplans involviert werden: Welche betrieblichen Lernstationen sind von neuen Vorschriften besonders betroffen und wie lässt sich der Ausbildungsplan daran anpassen? Jetzt sind Partizipation und Eigeninitiative gefragt!
Viele Ausbildungsbetriebe sind wirtschaftlich angeschlagen. Wie sollten Betriebe mit Auszubildenden über die unsichere wirtschaftliche Lage und die möglichen Konsequenzen für die Ausbildung kommunizieren?
Ausbildungsbetriebe haben eine große Verantwortung gegenüber ihren Lehrlingen: Sie sollten von Anfang an offen darüber sprechen, wenn sich der Betrieb in einer wirtschaftlichen Schieflage befindet. Ist der Abschluss der Ausbildung im Betrieb gefährdet, sollten sich Ausbildungsbetriebe frühzeitig um einen Schulterschluss mit anderen Unternehmen, z. B. in den jetzt gestärkten Ausbildungsverbünden, bemühen und auf diese Weise eine alternative Anstellung für ihre Auszubildenden sichern. Werden Menschen in jungen Jahren aus der Stabilität einer Ausbildung gerissen, kann das einen großen Schock mit schwerwiegenden Folgen für das gesamte Berufsleben bedeuten. Betriebe sollten von Beginn an fair kommunizieren, aber auch keine Panik verbreiten, sodass der oder die Auszubildende gleich das Handtuch wirft. Vielleicht gelingt es sogar, in der Krise ein besonderes Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln - im Sinne von „Wir krempeln die Ärmel jetzt erst recht hoch und reißen das Ruder gemeinsam herum.“ Das kann das Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefühl der Auszubildenden und damit den gesamten Betrieb stärken.
Frau Rump, besten Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen sowie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE). Darüber hinaus ist sie derzeit eine von vier INQA-Botschafter*innen und betreut die aktuelle Studie „Personalpolitik in der Corona-Krise“.