Zum Auftakt des neuen INQA-Podcasts geht es mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil um Arbeitsschutz in Corona-Zeiten, um notwendige Kontrolle und gute Vorbilder, um die Fleischindustrie und Friseur- und Restaurantbesuche. Für Minister Heil steht fest: „Corona ist wie ein Brennglas. Wir sehen im Guten wie im Schlechten Dinge, die vorher im Land richtig gut waren, zum Beispiel dass wir einen starken Sozialstaat haben und dass wir so ein Instrument wie Kurzarbeit haben, worum uns andere beneiden. Und wir sehen Dinge, die vor Corona auch schon nicht in Ordnung waren."
INQA-PODCAST: TRANSKRIPT FOLGE 1
Die INQA-Arbeitswoche. Der Überblick zur Arbeitswelt in Zeiten von Corona. Aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Präsentiert von der Initiative Neue Qualität der Arbeit.
Anja Heyde: Es gibt in Zeiten von Corona so viele Fragen, die unsere Arbeitswelt betreffen, Corona ist eine besondere Situation, die wir alle zum ersten Mal erleben. Und sie verändert unsere Arbeit in jeder Hinsicht in rasender Geschwindigkeit, was ja auch bedeutet, jede Woche neue Maßnahmen und Gesetze aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Und weil gerade diejenigen, die die aktuellen Maßnahmen umsetzen müssen, in dieser komplexen Zeit auch Unterstützung erstens verdienen und zweitens einen Überblick brauchen, versuchen wir Ihnen – bzw. euch – genau das zu geben, und zwar jeden Freitag 12.00 Uhr mit diesem Podcast der Initiative „Neue Qualität der Arbeit“. – So, und es geht darum, mit INQA mal zu checken, was von dem, was beschlossen wurde, in der Praxis funktioniert, denn wir alle lernen ja im Moment jeden Tag dazu, quasi Co-Creation zwischen Politik und Praxis. Und ein Thema, das diese und auch die vergangene Woche das ganze Bundesministerium für Arbeit und Soziales beschäftigt hat, war der Arbeitsschutz. Denn anhand der Fleischindustrie kann man sehen, was passiert, wenn alle Maßnahmen und Regeln ignoriert werden. Jetzt sitzt Hubertus Heil bei mir – mit Sicherheitsabstand, natürlich, 1,50 Meter mindestens, unser Bundesminister für Arbeit und Soziales. Herr Heil, erst mal herzlich willkommen!
Hubertus Heil: Schönen guten Tag, ich grüße Sie!
AH: Erste Frage: Was umtreibt denn den Bundesarbeitsminister in Corona-Zeiten?
HH: Also es sind vor allen Dingen drei große Flaggschiffe, die wir versuchen, zu bewegen. Das eine ist das Thema Sicherung von Arbeitsplätzen. Corona ist nicht nur eine gesundheitliche Herausforderung, eine Pandemie, sondern ist die größte wirtschaftliche und soziale Herausforderung unserer Generation. Und da versuchen wir mit dem Instrument vor allen Dingen der Kurzarbeit mitzuhelfen, Arbeit zu finanzieren statt Arbeitslosigkeit. Ich vergleiche das mal mit den USA: Die haben in den letzten acht Wochen 33 Millionen Arbeitsplätze – einige sagen 38 Millionen Arbeitsplätze – verloren, in Deutschland sichern wir mit der Kurzarbeit Millionen von Arbeitsplätzen, das ist unsere stärkste Brücke über ein sehr tiefes wirtschaftliches Tal. Das zweite Thema ist Arbeitsschutz - da reden wir, glaube ich, gleich noch ein bisschen intensiver drüber -: Also wie kann man unter den Bedingungen der Pandemie dafür sorgen, dass der Arbeitsplatz nicht zum Infektionsherd wird? Und das Dritte ist: dafür zu sorgen, dass die sozialen Folgen auch abgedämpft werden, also vor allen Dingen mit Blick auf Familien, die es jetzt besonders schwer haben. Das sind drei große Themen. Und ich kann sagen: Das Ministerium arbeitet da mit Hochdruck dran. Ich bin sehr stolz auf das Team, dass das umsetzt, übrigens auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Fläche das tun, bei der Bundesagentur für Arbeit beispielsweise.
AH: Also was mich persönlich umgetrieben hat in der letzten Woche, das war diese Geschichte mit der Fleischindustrie. Jetzt kennt man die Zustände dort, ehrlich gesagt, schon länger, das ist ja keine Überraschung, was da passiert. Jetzt braucht es tatsächlich erst Corona, damit sich irgendwas ändert?
HH: Nein, Corona ist wie so ein Brennglas. Wir sehen im Guten wie im Schlechten Dinge, die vorher im Land richtig gut waren, zum Beispiel dass wir einen starken Sozialstaat haben, dass wir so ein Instrument wie Kurzarbeit haben, um das uns andere beneiden. Und wir sehen Dinge, die vor Corona auch schon nicht in Ordnung waren. In der Fleischindustrie gab es ja verschiedene Anläufe, auch die Verhältnisse zu ändern. 2017 gab es ein sehr scharfes Gesetz für die Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche, von meiner Amtsvorgängerin Andrea Nahles damals durchgesetzt. Wir haben aber immer wieder erlebt, dass, wenn man versucht hat, die Dinge in den Griff zu bekommen, entweder im Gesetzgebungsverfahren Interessenvertreter angetreten sind – man kann auch Lobbyisten sagen -, um Regeln zu entschärfen, oder wenn scharfe Regeln erlassen wurden, man sehr findige Konstruktionen gefunden hat, um Löhne zu drücken, um Arbeitsverhältnisse, Arbeitsschutz auch zu intervenieren. Und das ist nicht in Ordnung, das geht auf die Knochen, vor allen Dingen von vielen Menschen aus Mittel- und Osteuropa, die da arbeiten. Und jetzt in Corona- - das war, wie gesagt, vorher schon eine – na, Schweinerei will ich nicht sagen, aber...
AH: Passt aber ganz gut.
HH: Ja, passt in diesem Fall. – Das war vorher schon in vielen Bereichen Lohndrückerei und Ausbeutung, und jetzt, in der Corona-Pandemie, ist es ein erhebliches gesundheitliches Risiko für die Beschäftigten, aber wir sehen das am Beispiel auch in Coesfeld: auch für einen ganzen Landkreis, der da in Geiselhaft genommen wird, wenn Menschen sich nicht an Regeln halten.
AH: Nein, stimmt, Schweinerei ist eigentlich nicht richtig, weil eigentlich muss man ja den Schweinen zugestehen, dass sie offensichtlich – na gut, egal, das ist eine andere Geschichte. – Das neue Gesetz sieht ja ein Verbot von Werkverträgen vor. Das ist, ich sage mal, eine ziemlich harte Maßnahme. Und es gibt auch schon einige in der Branche, die sagen: Das geht eigentlich nicht, wenn man bei uns Werkverträge verbietet und bei anderen nicht. Warum war das notwendig?
HH: Also das ist erst mal ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Dazu gehört vor allen Dingen, dass wir die Kontrollen verschärfen, auch was bestehende Regeln betrifft. Denn unsere Erfahrung – gerade in diesem Bereich – ist: Die schärfsten Regeln nützen nichts, wenn nicht nachgeguckt wird. Und das ist die Verantwortung der Länder. Wir werden die Prüfquoten im Arbeitsschutz hochfahren, dass nachgeschaut wird, gerade in diesem Bereich, auch verbindlich. Das Zweite ist: Wir müssen tatsächlich auch an eine Wurzel des Übels ran und das sind diese Konstruktionen von Sub-Sub-Sub-Sub-Sub-Unternehmertum, also von sogenannten Werksverträgen. Dazu muss man sagen: Werksverträge sind im Wirtschaftsleben eigentlich was total Normales. Also wenn ich als Unternehmer beispielsweise mir einen Handwerker bestelle, der in meinem Unternehmen eine Sicherheitsanlage installiert, das ist ein vernünftiger und richtiger Werkvertrag. Aber hier haben wir mit Verhältnissen zu tun in den Fleischfabriken, dass bis zu 80 % der Beschäftigten, die dort arbeiten, gar nicht mehr angestellt sind, sondern mit den merkwürdigsten Konstruktionen als Sub-Sub-Sub-Unternehmer angestellt werden.
AH: Also das ist ein System im Grunde genommen.
HH: Das ist ein System mit erheblicher Energie und das hat Folgen, nicht nur für den sozialen Schutz der Beschäftigten und auch für ihre Löhne, sondern auch für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Weil in diesen Ketten bis hin in die Frage, in welchen Unterkünften Menschen da eingepfercht werden, kann man dann irgendwann, wenn die Verantwortlichkeiten so verschachtelt sind über die Sub-Unternehmerkonstruktion, nicht mehr wirklich tatsächlich kontrollieren. Und deshalb haben wir gesagt: Für diese spezielle Branche, wo es besonders um Gesundheits- und Arbeitsschutz geht, werden wir im Kernbereich der Fleischindustrie Werkverträge nicht mehr zulassen.
AH: So, und dann letzte Frage, weil Sie die Kontrollen gerade angesprochen haben zu diesem Thema und dann steigen wir in den Arbeitsschutz ein ganz allgemein: Mit welchem Personal wollen Sie denn die kontrollieren? Also die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, die NGG, hat schon gesagt: Also die – gerade auf Landesebene - Kontrollen sind in den letzten Jahren zurückgefahren worden und damit auch das Personal.
HH: Absolut. Viele Länder haben vor Corona Arbeitsschutz für so ein lästiges Übel gehalten. Und deshalb sind die Arbeitsschutzbehörden der Länder in vielen Bereichen kaputtgespart worden in vielen Bundesländern, nicht in allen. Wir haben jetzt mit den Arbeitsministern der Ländern vereinbart – das kommt auch ins Gesetz -, dass es einen verbindlichen Pfad gibt, dass die ihr Personal hochfahren und dass wir jetzt besonders in risikogeneigten Bereichen ad hoc die Kontrollen auch verstärken. Und das machen wir gemeinsam mit den Arbeitsschutzbehörden der Länder, die müssen Personal hochfahren. Wir können als Bund unterstützen, auch mit der Schwarzarbeitskontrolle des Zolls, da wird es konstatierte Aktionen in diesen Risikobereichen auch geben. Noch mal: Nicht, weil wir Kontrollettis sind und weil wir Kontrollfreaks sind, sondern weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass es bestimmte Branchen gibt – und die fleischverarbeitende Industrie oder die Fleischfabriken sind ein solcher Bereich - , in dem kontrolliert werden muss, um Gesundheit der Beschäftigten und, wie gesagt, der gesamten Bevölkerung zu schützen.
AH: So, dann weiten wir das Ganze mal so ein bisschen beim Stichwort Kontrollen. Ein kleines Geständnis: Ich stalke Sie – also bei Instagram zumindest.
HH: Also Sie kontrollieren mich.
AH: Genau, das mache ich. Sie waren in einem Fischrestaurant in Berlin, das habe ich genau gesehen. War das auch so ein Kontrollgang von Ihnen wiederum?
HH: Nein, es geht beim Arbeitsschutz nicht immer um Kontrolle, das will ich auch sagen, sondern in diesen Zeiten vor allen Dingen um gute Beispiele. Meine feste Überzeugung ist, das im Wirtschaftsleben – wie im Leben auch und in der Schule und in der Kita – die Menschen in der Regel von besseren Beispielen mehr lernen als von abstoßenden. Deshalb habe ich sehr gezielt mir ein paar Betriebe angeguckt, die jetzt unter Corona-Bedingungen Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz und Hygienemaßnahmen ergriffen haben. Und dieser wunderbare Fischladen hier in Berlin – keine Schleichwerbung, aber der ist in der Kantstraße und heißt, glaube ich, Fancy Fish, oder so ähnlich -, die haben sozusagen, als der Lockdown jetzt gelockert wurde für Restaurants, wie ich finde, sehr vorbildlich Regeln aufgestellt und eingehalten. Und das ist sowieso meine Erfahrung: dass die meisten Unternehmen, die meisten Selbstständigen sich unter diesen verdammt schwierigen Bedingungen redlich bemühen, alles zu tun, damit wir nicht von einer zweiten pandemischen Welle erfasst werden, was nicht nur die Gesundheit und das Leben von Menschen gefährden würde, sondern was wirtschaftlich auch einen Rückschlag bedeuten würde.
AH: Wie haben die das konkret gemacht? Weil: Man braucht ja so ein bisschen auch eine Handhabe: Also wie gehe ich vor? – Ich höre von vielen, es funktioniert irgendwie nicht so richtig in der Praxis. Sie hören offensichtlich anderes.
HH: Also sie haben sich erst mal Rat geholt. Und da gibt’s eine Fülle von Möglichkeiten. Es gibt zum Beispiel die Berufsgenossenschaften, die für die Arbeitsschutzregeln, die wir auf Bundesebene aufgestellt haben – das sind eher so einfachere Regeln, die jeder sich vorstellen kann: wo immer es geht, 1,50 Meter Abstand halten, natürlich Hände waschen, wo Abstände nicht eingehalten werden, auch Mund-Nase-Schutz, also diese ganz normalen Regeln, die grundlegend für Alle gelten, die muss man natürlich für die spezifische betriebliche Wirklichkeit einzelner Branchen adaptieren und umsetzen. Was heißt das für eine Fabrikhalle, was heißt das für ein Restaurant? Und wie gesagt, dieses Unternehmen hat sich erst mal Rat geholt und hat dann alles veranlasst, was dafür notwendig ist.
AH: Was ist denn dann in Ostfriesland, da in Leer, passiert? Also da gibt’s ja einen Ausbruch in einem Restaurant, das ist ja genau das, was man verhindern will. Haben die dort die Regeln nicht eingehalten? Oder weiß man es einfach nicht so genau, ob die Regeln tatsächlich was nutzen?
HH: Ich kann nur das wiedergeben, was ich aus den Medien darüber weiß: Danach hat offensichtlich der Mensch, der das Restaurant betreibt, bevor er es geöffnet hat, einfach mal Freunde und Geschäftspartner eingeladen, um das sozusagen zu feiern. Und da ist wahrscheinlich alles schiefgelaufen, was nicht schieflaufen darf. Der war selbst offensichtlich Corona-infiziert und das hat zu einer Masseninfektion geführt. Also offensichtlich hat man da sich nicht an Abstände gehalten. Man hat, was in normalen Zeiten auch mal schön ist, ordentlich gepichelt und gefeiert und sich dadurch infiziert, ein bisschen, wie das damals in Ischgl offensichtlich gewesen ist. Das zeigt: Die Gefahr ist noch nicht gebannt. Die guten Zahlen, die wir immer lesen, und die Freude, dass wir in Deutschland besser durchgekommen sind als in anderen Ländern, die es ja ganz furchtbar hatten, Norditalien, die Bilder sind ja noch nicht so lange her, müssen uns wachsam sein lassen. Das heißt: wo immer es geht, die Regeln, die aufgestellt sind, zu beachten, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten.
AH: Da haben wir zum Beispiel diese 1,50 Meter Abstand. Nehmen wir mal an, es gibt so eine Verkaufsfläche von 20 Quadratmetern, das ist ja jetzt wirklich nicht viel, meine Friseurin wäre so ein Beispiel, so ein ganz kleiner Laden. Wenn da aber zwei Kräfte arbeiten, dann kann eigentlich kein Kunde mehr rein.
HH: Na ja, es ist nicht immer alles räumlich perfekt. Und deshalb sind diese Regeln auch insofern flexibel zu handhaben, dass da, wo man keinen Abstand halten kann, zum Beispiel Mund-Nase-Schutz ein geeignetes Instrument ist. Also es ist im Leben so, dass man nicht immer automatisch anderthalb Meter Abstand halten kann, sondern das heißt: wo möglich, anderthalb Meter Abstand zu halten. Aber es gibt ja noch eine Fülle von anderen Dingen. Ich war auch in Berlin nicht nur in diesem Restaurant, sondern beim Friseur – erst mal nicht zum Haareschneiden, das war einfach, bevor es losging, sondern um mir da auch mal anzugucken – das war hier in Berlin-Mitte -, wie eine Friseurin das in ihrem Laden umsetzt. Die hatte echt schwierige Zeiten hinter sich, die ganzen Mitarbeiter, die vielen, in Kurzarbeit geschickt, hatte niemanden entlassen und war dann richtig froh, dass es wieder losging. Die haben mir viel Akribie alles Mögliche gemacht. Also die haben sich Visiere besorgt, also nicht immer nur Mundschutz, sondern so ein Visier, um die Beschäftigten, die Kunden zu schützen. Die haben gesagt: Okay, jetzt gibt’s halt mal keinen Cappuccino, wie es den sonst immer gibt für die Kundinnen und Kunden. Man hat Wasser hingestellt, was die Leute sich selbst einschenken können. Man hat auch Abstände zwischen Sitzen, Friseursitzen organisiert. Man ist über - Terminvorbestellung reingegangen, weil am Anfang natürlich, nachdem alle sich die Haare so lange haben sprießen lassen, die Nachfrage riesig groß war, aber die haben das einigermaßen gesteuert, sodass der Laden nicht rammelvoll war im Sinne des Gesundheitsschutzes. Also die haben wirklich alles richtig gemacht. Es ist nicht so, dass wir im Bundesarbeitsministerium für jeden einzelnen Laden oder für jede einzelne Branche detaillierte Regeln aufstellen. Sondern wir haben Grundregeln aufgestellt und die Innung oder Berufsgenossenschaften beraten die. Und auch in diesem Fall war das so, dass die Frau, die diesen Friseurladen betreibt, sich bei ihrer Handwerksinnung informiert hat und da auch Informationen gefunden hat. Und wie gesagt: Wir haben die Berufsgenossenschaften und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland, die wirklich total gut und serviceorientiert Rat geben, wie man die Dinge dann auch im Praktischen umsetzen kann in der jeweiligen Branche.
AH: Also meine Friseurin hat auch ganz viele von den Geschichten, die Sie angesprochen haben, umgesetzt: also Termine vergeben, die Leute nur einzeln rein, damit da irgendwie kein Stau entsteht. Und trotzdem hat sie mir eine riesige Meckerliste mitgegeben. Also da ist zum Beispiel der Punkt: Sie muss Handschuhe tragen beim Haareschneiden, obwohl sie den Leuten vorher die Haare gewaschen hat. Sie darf keine Zeitung auslegen. In Arztpraxen soll das aber immer noch gehen. Und in den Restaurants wird Kaffee serviert, sie darf es nicht. Die sucht, ehrlich gesagt – zumindest bei einigen Maßnahmen – immer noch den Sinn und bezweifelt bzw. dass die tatsächlich welche haben.
HH: Na ja, die meisten haben schon einen Sinn. Ich will aber nicht behaupten, dass sozusagen alles perfekt oder widerspruchsfrei ist. Es gibt ja keine Blaupause für so eine Krise, das muss man ganz offen sagen. Deshalb tasten wir uns auch ein bisschen Stück für Stück ran und die Konzepte, die da aufgestellt werden, gelten erst mal für eine Zeit lang und dann muss man gucken, welche Dinge sich davon bewährt haben. Aber dass zum Beispiel – um es praktisch zu machen: Die Kundinnen und Kunden die Haare gewaschen bekommen, bevor geschnitten wird, das ist kein Trockenschnitt und ist notwendig. Das ist das, was uns die Expertinnen und Experten gesagt haben – aus Hygienegründen. Also: Ich kann den Unmut und diese Klagen über erschwerte Bedingungen gut verstehen. Aber ich werbe ein bisschen um Verständnis dafür, dass wir lieber vorsichtiger sind als zu leichtsinnig, weil wir, wie gesagt, Rückschläge auch erlebt haben in bestimmten Bereichen. Ich habe vor kurzem mit einer Ökonomin gesprochen, die interessanterweise in Singapur war. Und da hatte man das Gefühl, man hat die Pandemie im Griff und hat dann auch Regeln wieder gelockert. Und dann hat man Bauarbeiter reingeholt aus anderen fernöstlichen Staaten und die in Unterkünften eingepfercht – mit dem Ergebnis, dass die zweite Welle kam. Also: Ich nenne dieses große Beispiel dafür, dass wir Verständnis haben müssen, dass bestimmte Regeln Stück für Stück gelockert werden können. Und wir werden uns regelmäßig auch angucken, wie die Regeln im Einzelnen sind. Das ist für viele Beschäftigte und für viele Unternehmen nicht leicht umzusetzen, aber in dieser Zeit, glaube ich, muss man das Meiste versuchen hinzukriegen.
AH: Das BMAS macht quasi Regeln oder ich sage mal Empfehlungen und die Länder müssen es umsetzen – oder die Länder setzen es um, weil – wir haben es ja schon mal gesagt – es ist Ländersache. Und natürlich frage auch ich mich: Müsste es nicht gerade in so einer Geschichte, ich sage mal, einheitliche Regeln geben, gerade beim Arbeitsschutz. Also das ist ja...
HH: Das ist auch deshalb nicht ganz richtig. Die Regeln sind einheitlich für den Arbeitsschutz, das sind Arbeitsschutzgesetze auch auf Bundesebene; die Kontrollen liegen bei den Ländern. Aber die Umsetzung, wie gesagt, ist in der Regel nicht sozusagen eine von Strafe und Schimpfe. Im Notfall, wenn ganz grob gegen Regeln verstoßen wird, können auch Bußgelder verhängt werden, auch ganz saftig. Und es kann auch mal eine Gesundheitsbehörde im Zweifelsfall einen Laden dichtmachen. Aber das steht nicht im Vordergrund. Weil die meisten sich hoch vernünftig verhalten und sich Mühe geben, geht es eher darum, praktische Beispiele zu machen. Und wer sich erkundigen will, den verweise ich mal auf die Homepage der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, der DGUV. Da gibt’s ganz viele praktische Hinweise, Fallbeispiele, was das für bestimmte Branchen bedeutet. Also die Regeln sind schon bundeseinheitlich. Die Kontrolle liegt in der Zuständigkeit der Länder.
AH: Welche Unterstützung kriegt man denn – gerade als Arbeitnehmer, als Unternehmen -, wenn es um die Ausstattung bei Arbeitsschutz geht? Und wo kriege ich die her? Weil: Es gibt ja sicherlich – also da müssen Plexiglasscheiben angeschafft werden, Mundschutz etc., das muss ja irgendwo herkommen. Und es gibt Unternehmen, die im Moment sowieso sehr wenig Geld zur Verfügung haben, weil sie in einer schwierigen Situation arbeiten.
HH: Ja, aber es liegt erst mal in der Verantwortung der Unternehmen selbst. Es ist ja so, dass auch vor Corona und grundsätzlich im Arbeitsschutz gilt, dass Arbeitgeber so etwas wie eine Gefährdungsbeurteilung der Beschäftigten machen müssen: also welche allgemeinen Gefahren gibt es und welche Maßnahmen müssen ergriffen werden? – das ist das Prinzip. Es gibt in bestimmten Bereichen Hilfen, auch gerade wenn es Probleme in bestimmten Bereichen gibt, durchaus auch von lokalen Gesundheitsämtern, was die Beschaffung von bestimmten Sachen betrifft. Aber vieles gibt der Markt heute auch schon her: Die Wirtschaft hat sich ja in vielen Bereichen eingestellt, zum Beispiel auf die Produktion dieser nichtmedizinischen Mund-Nase-Schutz-Masken, kann man sich auf die Marktwirtschaft echt verlassen, also nicht nur auf die, die das selbst klöppeln, und das gilt auch für viele andere Angebote. Auch die Produktion von Desinfektionsmittel beispielsweise ist massiv angelaufen. Ich behaupte nicht, dass das alles perfekt ist, es wird an der einen oder anderen Stelle auch Engpässe geben. Aber wir werden da nicht staatlicherseits alles organisieren können, sondern da sind wir auf die Eigeninitiative von Unternehmen auch angewiesen. Aber wer Rat braucht – noch mal -: einfach mal die Berufsgenossenschaft anrufen, die wissen das meistens. Oder auch das örtliche Gesundheitsamt.
AH: Okay. Die Initiative „Neue Qualität der Arbeit“, INQA, hat auf der Webseite inqa.de sehr gute Checklisten, wie man das, was beim Arbeitsschutz jetzt wichtig ist, im eigenen Unternehmen auch noch mal umsetzen kann, also das vielleicht als Abschluss hier. Und dort findet ihr bzw. finden Sie dann auch noch mal alles, was wichtig ist mit Zusammenhang mit Arbeitsschutz und mit Corona. Letzte Frage: Sie waren ja auch in Quarantäne, da haben Sie das Kurzarbeitergesetz unterschrieben. Darf man das im Homeoffice?
HH: Na klar.
AH: Kommt da das Recht auf Homeoffice – die Idee her?
HH: Nein, die Diskussion ist schon ein bisschen länger. Also viele erleben Homeoffice gerade nicht als eine besonders vergnügliche Veranstaltung, vor allen Dingen, wenn Homeschooling auch noch dazukommt, das habe ich auch alles zu Hause erlebt. Auf der anderen Seite müssen wir mal grundsätzlich auch mal ein paar Lehren ziehen, was geht an diesem Punkt. Und ich möchte, dass wir nach all diesen Verboten und Geboten mal über Selbstbestimmung mehr reden. Also: Das werden wir auch noch tun. Das ist jetzt nicht tagesaktuell.
AH: Gut. Also Vorschlag: Ich gehe jetzt auch wieder ins Homeoffice, teste das noch mal so ein bisschen und dann sitzen wir in der kommenden Woche wieder hier, allerdings mit Björn Böhning, mit dem Staatssekretär. Frage noch an Sie: Was steht in der kommenden Woche an?
HH: Also nachdem wir jetzt Brücken gebaut haben am Arbeitsmarkt, vor allen Dingen, wie gesagt, mit Kurzarbeit, geht’s jetzt darum, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Wir sind in Vorbereitung für das Konjunkturpaket und die Frage, was wir für Investitionen und für Kaufkraft tun können, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft jetzt nach den Lockerungen auch wieder in Gang kommt. Denn das ist natürlich das, was wir alle wollen: dass wir wirtschaftlich wieder loslegen können, dass wir was produzieren, was herstellen, dass Dienstleistungen wieder möglich sind, dass Menschen Arbeit und Auskommen haben. Also das ist das, was uns nächste Woche vor allen Dingen vor der Brust ist.
AH: Hubertus Heil, unser Bundesarbeitsminister. Vielen, vielen Dank für die Zeit. Und nächste Woche dann mit dem Staatssekretär im BMAS, Björn Böhning, hier im INQA-Podcast in Zeiten von Corona. Dann diskutieren wir ausführlich, was ein Recht auf Homeoffice eigentlich bedeuten würde. – Vielen Dank!
HH: Herzlichen Dank!