Drastische Maßnahmen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sollen momentan die Ausbreitung des Coronavirus in der Bundesrepublik verlangsamen. Nicht nur die zahlreichen Schließungen von Restaurants und Einzelhandelsfilialen, sondern auch massive Einschnitte der Reisefreiheit sowie das Social Distancing drohen die Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Im neuen Online-Dossier „Hinter den Kulissen“ hat das Projekt psyGA – Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt mit Akteuren aus Politik und Gesundheitssystem gesprochen. Sie beschreiben, welche Abwägungen diskutiert werden, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen und wie Deutschland in der Corona-Krise dasteht.
Die Forderungen nach einer baldigen Rückkehr zur Normalität werden immer lauter. In Anbetracht dessen, dass die aktuellen Beschränkungen in bisher nicht gekanntem Ausmaß zahlreiche Bürgerinnen und Bürger in finanzielle Nöte und psychische Extremsituationen bringen, ist das verständlich. Um die politischen Entscheidungsfindungen besser nachvollziehen zu können, hat psyGA im Nachgang eines Gesprächs mit Staatssekretär Björn Böhning aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auch mit dem ehemaligen SPD-Politiker und früheren Fraktionsvorsitzenden Ludwig Stiegler sowie mit Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes, gesprochen. Ihr Fazit: Deutschland hat gut auf die Pandemie reagiert, aber es gibt noch viel zu tun und zu lernen.
Ein paar Orientierungspunkte für die Frage danach, wem wir in diesen Zeiten folgen wollen hat Randolf Jessl, Journalist und Autor einer Studie zum Thema Autorität für psyGA aufgeschrieben.
Die Politik hat ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt
„Der Unterschied zu bisherigen Krisen ist klar zu erkennen“, sagt der ehemalige SPD-Politiker Ludwig Stiegler im Interview mit psyGA. Während die Finanzkrise weitgehend ein Thema für Expertinnen und Experten war, sei nun jede und jeder unmittelbar betroffen. „Sehr viele Lebenspläne sind gestoppt oder fraglich geworden, in der Politik wie im persönlichen Leben.“ Positiv stimmt ihn allerdings, dass die Politik sich in so kurzer Zeit handlungs- und entscheidungsfähig gezeigt habe. „Ein normaler gesetzgeberischer Prozess wäre der Krise nicht gerecht geworden. Dass das alle ohne Murren eingesehen haben, zeigt die Reife unserer Demokratie.“, so Stiegler. „Ich bin froh zu sehen, wie über Nacht von kleinlichem Streit und Strategiespielchen auf die Notwendigkeiten des Tages und des Schutzes der Bevölkerung umgeschaltet worden ist.”
Ein System, um das wir in der Welt beneidet werden
Auf die Frage, ob die Krankenkassen finanziell gut genug aufgestellt sind, um die derzeitige Situation aufzufangen, antwortete der Vorstand des BKK Dachverbands Franz Knieps mit einem klaren Ja. Die inzwischen zahlreichen Maßnahmen des Bundes zur Sicherung der Versorgung und der Versorgungsstrukturen, wie z. B. die Entscheidung zur Aufstockung der Intensivbetten und deren staatlicher Bezuschussung, stimme ihn hoffnungsvoll. „Das Grundrisiko ist besser abgedeckt, als ich mir das hätte vorstellen können.“ Und weiter: „Wir sind gut abgesichert und haben ein System, um das wir in der Welt beneidet werden.” „Bei allem Bewusstsein für den Ausnahmezustand” hat Knieps auch die Folgen für das demokratische System im Blick und spricht sich für eine nüchternere, kritischere Debatte in der Berichterstattung aus, denn: „Pluralität ist auch in Krisenzeiten existenziell”.
Neben den vollständigen Interviews mit Ludwig Stiegler, Franz Knieps und Björn Böhning finden Sie unter www.psyGA.info auch das bisherige psyGA-Dossier „Was uns umtreibt – was uns hilft” zum Umgang mit persönlichen Ängsten und Sorgen in der Corona-Krise. Hinzu kommen viele hilfreiche Informationen der Bundesministerien zu Corona.