Frau Molzahn, das BEM hat bei Ihrem Unternehmen einen hohen Stellenwert. Warum ist diese Maßnahme für die Ruhrbahn GmbH so wichtig?
Wir sind ein Verkehrsunternehmen für die zwei Städte Essen und Mülheim an der Ruhr. Unsere Beschäftigten sind in den Werkstätten und im Verwaltungsbereich tätig, der größte Teil arbeitet jedoch im klassischen Fahrdienst als Bus- oder Straßenbahnfahrende. Es ist ja bekannt, dass die Arbeitsbedingungen für diese Berufsgruppen besonders schwierig sind. So tragen unsere Fahrenden zum Beispiel eine hohe Verantwortung für ihre Fahrgäste, das wirkt sich auch auf die Gesundheit aus. Der Beruf bringt eine psychische Belastung mit sich, zusätzlich hören wir auch oft von körperlichen Beschwerden. Viele unserer Fahrenden sind seit 25 bis 30 Jahren im Unternehmen. Aufgrund des zunehmend höheren Durchschnittsalters und durch längere krankheitsbedingte Fehlzeiten ist in den letzten Jahren die Zahl der BEM-Berechtigten gestiegen.
Wie setzen Sie das BEM konkret um?
Mit unserem BEM Team versuchen wir, unseren Beschäftigten Maßnahmen anzubieten, die ihnen in ihrer jeweiligen Situation helfen. Nach längerer Ausfallzeit oder bei chronischen Krankheiten sind wir mit der Frage konfrontiert, ob die betroffene Person dienstuntauglich wird, alternativ eingesetzt werden kann oder ob wir an den Arbeitsbedingungen im Betrieb oder am Arbeitsplatz etwas ändern können. Wir bemühen uns, Ausfallzeiten zu reduzieren und in enger Zusammenarbeit mit unserem Gesundheitsmanagement präventiv zu wirken, um eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit zu verhindern.
Was hilft Ihnen bei der Durchführung?
Mittlerweile verfügen wir über einen erheblichen Erfahrungsschatz in der Zusammenarbeit mit Berufsgenossenschaften, Reha-Trägern und anderen Unterstützenden. Außerdem haben wir mit dem Betriebsrat Regelungen gefunden, um unsere Mitarbeiter*innen durch verschiedene Maßnahmen zu entlasten und eine erneute Arbeitsunfähigkeit zu verhindern. Wir versuchen, ehrlich zu helfen und für jeden Berechtigten die bestmögliche Maßnahme zu finden. Unsere begleitenden Hilfen sind genauso facettenreich wie die Ursachen einer Krankheit. Es sind meist Einzelfälle – und die erfordern individuelle Lösungen.
Sie versuchen, allen Mitarbeitenden ein BEM anzubieten, die länger als sechs Wochen krank waren. Wird das auch von allen angenommen?
Wir signalisieren unsere Bereitschaft, in dem wir mit bis zu drei Briefen zu einem freiwilligen BEM-Gespräch einladen. Die meisten betroffenen Beschäftigten nehmen dieses Angebot gerne an, da sie über ihre Situation und manchmal auch über ihre Sorgen und Nöte sprechen möchten. Wir setzen etwa eine Stunde für ein Gespräch an, je nach Fall kann das aber auch deutlich kürzer oder erheblich länger dauern. Die Berechtigten können bestimmen, wer am BEM-Gespräch teilnimmt. Häufig führen wir diesen Austausch unter vier Augen. Auf Wunsch der Berechtigten kann aber auch eine Vertreterin oder ein Vertreter des Betriebsrats, ein Betriebsarzt bzw. Betriebsärztin, eine Person aus der Schwerbehindertenvertretung, der Partner oder die Partnerin oder ein anderer Mensch des Vertrauens am Gespräch teilnehmen. Dadurch steigt die Akzeptanz für ein BEM auf über 70 Prozent und ist damit insgesamt sehr hoch.
Haben Sie standardisierte Lösungen oder finden Sie individuelle Wege?
Ein BEM Verfahren ist immer ergebnisoffen, denn jeder Fall ist anders. Ein Kollege litt zum Beispiel an Schlaflosigkeit, sein Arzt empfahl regelmäßige Nachtruhe. Das war mit dem gängigen Dienstplan aber nur schwer umzusetzen. Daraufhin erstellten wir für ihn einen Plan mit immer gleichen Dienstzeiten und halfen ihm so, seine Schlaflosigkeit in den Griff zu bekommen und wieder arbeits- und leistungsfähig zu werden. Ein anderer Kollege hatte wegen eines doppelten Bandscheibenvorfalls fast täglich Schmerzen. Im Rahmen des BEM-Verfahrens überlegten wir gemeinsam, wie man seine Belastungszeiten verkürzen könnte. Heute hat er nach vier Stunden Fahrdienst eine Regenerationsphase bevor er die zweite Schicht anfängt. Sie sehen: Es sind Einzelfälle, die individuelle Lösungen erfordern. Wir kümmern uns auch mal um einen Termin für eine medizinische Diagnose, beschaffen Hilfsmittel wie höhenverstellbare Arbeitsplätze oder vermitteln einem Menschen mit psychischen Problemen einen Therapieplatz.
Welchen Tipp würden Sie der Personalleitung eines kleineren oder mittleren Unternehmens mitgeben, die ein BEM auf den Weg bringen möchte?
Erst mal: Ein BEM lohnt sich immer! Sie sollten sich vorher aber unbedingt klarmachen, welches Ziel Sie damit verfolgen möchten, denn ein BEM macht nur Sinn, wenn das Unternehmen echte Unterstützung bieten kann und will. Das spüren die Menschen. Je mehr sie sich ehrlich unterstützt fühlen, desto offener gehen sie mit ihrer Situation um. Je formalisierter der Prozess ist, desto weniger Erfolg werden Sie haben. Wie man diesen Prozess letztendlich aufsetzt, ist variabel. Dabei kann es auch helfen sich mit Betrieben vergleichbarer Größe zusammen zu schließen oder einen professionellen externen BEM-Berater hinzuzuziehen. Entscheidend ist die ehrliche und unterstützende Funktion: Sie müssen wirklich helfen wollen. Das entscheidet über Erfolg oder Misserfolg.