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Der Verein Kopfsachen e. V. möchte die mentale Gesundheit junger Menschen fördern und vermittelt in verschiedenen Bildungsformaten die Grundlagen der psychischen Gesundheitskompetenz. Studien zeigen, dass psychische Erkrankungen wie Burnout oder Angststörungen weltweit zunehmen – und immer häufiger auch jüngere Menschen betreffen. Im Gespräch mit INQA erklärt Co-Gründerin und Geschäftsführerin Leonie Müller, was Unternehmen tun können, um jüngere Mitarbeitende mental zu unterstützen.

Ihr Ziel ist es, die junge Generation zu einem offenen und kompetenten Umgang mit mentaler Gesundheit zu befähigen. Wie möchten Sie das erreichen?

Wir führen interaktive Workshopformate zum Ausprobieren und Anfassen durch, z. B. an Schulen oder auch in Unternehmen. Dabei wenden wir vor allem Methoden und Übungen an, die die eigenen Ressourcen stärken. Die jungen Menschen lernen zu reflektieren: Wie kann ich erkennen, was mich belastet, was mir guttut und was meine Stärken sind. Unsere Workshops sind davon geprägt, dass die Teilnehmenden offen über alle Themen rund um die mentale Gesundheit sprechen können und die Erfahrung machen: Ich bin nicht alleine. Außerdem klären wir darüber auf, wo sie sich Hilfe holen können, wenn es ihnen nicht gut geht und sie nicht mehr weiterwissen. Da besprechen wir die verschiedenen Optionen, die es gibt.

© Nils Lucas Leonie Müller, Co-Gründerin und Geschäftsführerin des Vereines Kopfsachen e. V.

Welchen Herausforderungen ist die jüngere Generation besonders ausgesetzt?

Junge Menschen waren während der Corona-Pandemie in einer weit weniger stabilen Situation als Erwachsene. Als die wichtige Säule Schule wegbrach, war das für viele problematisch. Sie konnten sich viel weniger als notwendig in ihren Entwicklungsaufgaben üben und erproben. Damit meine ich z. B. zu lernen, neue und reife Beziehungen aufzubauen oder die Übernahme sozialer Verantwortung. Aber auch unabhängig davon müssen sich junge Menschen in einer immer komplexer werdenden Welt zurechtfinden und Entscheidungen unter zunehmend unsicheren Bedingungen treffen. Häufig fehlen ihnen dafür die notwendigen psychischen Ressourcen, wie z.B. Problemlösekompetenzen. Generell stellen wir fest, dass die Zahl der Burnouts in den letzten Jahren gestiegen ist und vor allem, dass die Menschen, die ein Burnout erleiden, immer jünger werden. Früher war das ein Thema in der Mitte des Lebens, heute erleben wir, dass auch Berufseinsteiger*innen in einen Erschöpfungszustand rutschen. Und das kommt sicherlich daher, dass sie bereits mit einer größeren Belastung ins Berufsleben einsteigen.

Was können Unternehmen tun, um jüngere Mitarbeitende im Betrieb mental zu stärken?

Allgemein sollten Arbeitgebende berücksichtigen, dass junge Mitarbeitende und Auszubildende sich in zwei Lebensphasen parallel befinden. Sie sind noch in ihrer Jugend und mit Themen wie Identitätsfindung und Wertebildung beschäftigt – gleichzeitig bauen sie sich ihre berufliche Karriere auf. Sie haben einen gewissen Erwartungsdruck und müssen ihr eigenes Leben strukturieren, zeitlich sowie finanziell. Dabei können sie nicht wie ältere Kolleg*innen auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen, der Sicherheit und Orientierung geben kann.

Was sicherlich alle Unternehmen tun können: Gespräche anbieten oder offen sein für Gespräche, wenn jemand Sorgen oder Probleme hat. Ich denke, das ist an sich selbstverständlich, aber vielleicht noch nicht überall Realität. Was auch wichtig ist: Vorurteile beiseitelegen, die gerade die Jungen im Arbeitskontext treffen und in der Öffentlichkeit immer wieder laut werden, wie die neue Generation sei faul oder wolle nicht arbeiten. Junge Menschen brauchen vor allem einen gewissen Spielraum, in dem sie sich weiterentwickeln können. Deshalb sollten Unternehmen viel Unterstützung anbieten, wie Mentoring-Programme, Peer to Peer Learning oder andere Austauschformate.

Wie sollen Arbeitgebende mit psychischen Belastungen bei Berufsanfänger*innen umgehen – auch mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen?

Auch kleine Unternehmen haben die Pflicht, regelmäßig psychische Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen. Das ist auf jeden Fall etwas, was man ernst nehmen sollte. Auch sie müssen ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen, sollten aber auch wissen, wo diese aufhört. Wenn sich jemand verändert hat, sollte man als Arbeitgebender im ersten Schritt abklopfen: Worum geht es hier überhaupt? Ist es ein arbeitsbedingtes Problem oder ist es etwas, das woanders herrührt? Liegt es an den Arbeitsbedingungen müssen beide Seiten gemeinsam eine Lösung finden, damit sich die Situation für die betroffene Person verbessert. Stichwort Fürsorgepflicht. Liegt der Grund im privaten Umfeld, ist es zunächst wichtig, nicht urteilend der Person zu begegnen. Die Person kann aufgrund einer physischen Erkrankung leiden oder eine sehr herausfordernde Situation in der Familie erleben. Generell sollten Unternehmen Möglichkeiten schaffen, damit die Person weiterhin ihre Leistung erbringen kann. Denn es kann auch guttun, sich bei der Arbeit wirkungsvoll zu fühlen und mit netten Kolleg*innen in Kontakt zu sein. Das kann z. B. durch Teilzeitlösungen oder angepasste Aufgaben geschehen. Außerdem ist es wichtig, darüber aufzuklären, dass man sich Hilfe holen kann, etwa durch einen Therapieplatz.

Idealerweise gibt es in der Organisation eine Ansprechperson, die in dem Bereich mentale Gesundheit Basiskenntnisse hat. Dafür gibt es auch niedrigschwellige und günstige Lösungen für Unternehmen, z. B. Onlineangebote. Es sollte ein Grundverständnis da sein, was man tun kann, im Sinne von: Ich gehe auf die Person zu und weiß, wie ich sie ansprechen kann. Das Thema sollte einen Platz im Unternehmen haben.

Sollte das Thema mentale Gesundheit stärker in der Unternehmenskultur von Betrieben verankert werden – und wie können Unternehmen dies umsetzen?

Mentale Gesundheit sollte bei der Unternehmenskultur definitiv eine Rolle spielen. Dabei geht es letztlich darum, ein wertschätzendes und offenes Miteinander zu schaffen und zu leben. Das ist vor allem eine Führungsaufgabe. Zusätzlich ist es sinnvoll, sich externe Unterstützung zu holen, um zu prüfen, wo sind denn die Painpoints in unserer Organisation, also was sind die Themen, die Leidensdruck entstehen lassen, wie beispielsweise die Meetingkultur, die Arbeitsplatzsituation oder Konflikte im Team? Also man muss die Probleme identifizieren, um sie dann konkret anzugehen.

Darüber hinaus halte ich Führungskräfte-Trainings in dem Bereich für sehr wichtig. Es können auch kleine Impulse sein. Wir bieten zum Beispiel einen einstündigen Online-Workshop für alle Hierarchiestufen eines Unternehmens an, in denen wir grundsätzlich aufklären: Was ist die Psyche? Was kann man tun, wenn man sehr gestresst ist? Wie kann man dazu vielleicht auch im Team miteinander kommunizieren und einen offenen Austausch pflegen? Das sind kleine und niedrigschwellige Maßnahmen, die man gut implementieren kann.

Was können junge Menschen im Arbeitsleben/in der Ausbildung selbst für ihre psychische Gesundheit tun? Was rät Kopfsachen e.V.?

Im ersten Schritt raten wir, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um nachzuspüren wie es einem gerade geht. Das klingt einfach, ist es aber oft nicht. Hilfreich sind Fragen nach dem eigenen Anspannungslevel, Bedürfnissen und Belastungsfaktoren. Darüber hinaus raten wir, die Pflege der eigenen Ressourcen genauso in den Terminkalender einzuplanen wie andere Aufgaben auch: Was tut mir gut, was mache ich gern, welche Aufgaben geben mir Kraft und Energie? Es ist wichtig, neben der Arbeit das Privatleben und soziale Kontakte weiterhin zu kultivieren. Viele beginnen erst für sich zu sorgen, wenn sie bereits ihre Grenzen überschritten haben (“Ein bisschen geht ja noch!”). Für die Burnout-Prävention ist es jedoch zentral, die Anzeichen der eigenen Grenzen kennenzulernen und sie als Anlass für Ruhe und Entspannung zu nehmen. Beim Burnout ist in der Regel das Gegenteil der Fall: Man geht in Stress und Belastung unter und merkt es erst, wenn man völlig ausgebrannt ist. In unseren Workshops geben wir z. B. Hilfestellungen, die eigenen Warnsignale früher zu erkennen.

Wenn es zu einer Überbelastung kommt, sollten Betroffene das Gespräch suchen. Das ist sowieso immer das Erste, wenn es um mentale Gesundheit geht: sich Hilfe holen! Am besten spricht man mit der Führungskraft oder einer zuständigen Person, denn so lassen sich Veränderungen am effektivsten anstoßen. Eine anonyme Mitarbeiterbefragung kann zwar ein erster Schritt sein, führt aber oft nicht zu spürbaren Verbesserungen. Es geht also bei der Selbstfürsorge manchmal darum, Mut zu sammeln und aktiv zu werden.

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