Das Coronavirus verändert unseren Alltag, auch den der Kinder. Sie können spüren, wenn die neuen Umstände und Herausforderungen die Eltern belasten. Aber wie erklärt man Kindern am besten das Coronavirus? Wie nimmt man ihnen die Angst und sensibilisiert sie gleichzeitig für die Gefahren? Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Michaela Willhauck-Fojkar erklärt im Interview mit der Bundespsychotherapeutenkammer worauf Sie achten sollten.
Michaela Willhauck Fojkar ist niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Mannheim und im Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer.
Frau Willhauck-Fojkar: Kann man einem Dreijährigen ein lebensgefährliches Virus erklären?
Zunächst können Eltern einem Dreijährigen allgemein ein Virus erklären. Sie können erklären, dass das Virus etwas ist, das sie nicht mit den Augen sehen können. Damit das Kind trotzdem eine Vorstellung davon entwickeln kann, hilft es, das Virus aufzumalen. Dann könnten die Eltern erklären, dass das Virus sehr krank machen kann, obwohl es sehr klein ist. Dass es von einem kranken Mensch aus durch die Luft fliegen und über Nase und Mund von einem anderen Menschen eingeatmet werden kann. Dass Menschen darum krank werden und Husten und Fieber bekommen. Dass wir jetzt Masken tragen, damit das Virus es nicht so leicht schafft, von Mensch zu Mensch zu springen. Dass wir deshalb auch größeren Abstand zu anderen Menschen halten als normal. Weil das Virus auch auf Türklinken sein kann, waschen wir uns jetzt regelmäßig die Hände. Das Virus zu erklären ist sehr wichtig, damit die Kinder verstehen können, warum vieles so anders ist.
Fürchten sich kleine Kinder davor, aufgrund des Virus sterben zu können oder dass Opa und Oma sterben?
Die Kinder spüren schon, dass da etwas ist, dass die Erwachsenen beunruhigt. Sie orientieren sich dabei sehr stark an ihren Eltern. Wenn diese ihnen das Virus erklären und klare Verhaltensregeln vorgeben, lassen sie sich aber meist leicht beruhigen. Wenn sie aber spüren, dass die Erwachsenen etwas verschweigen oder nicht richtig erklären, können sie auch wilde und bedrohliche Fantasien vom Virus entwickeln.
Was ist, wenn jemand stirbt, den sie kennen?
Das ist sehr unterschiedlich, je nachdem ob das Kind sich überhaupt schon einmal mit Sterben und Tod beschäftigt hat. Ist zum Beispiel schon einmal ein Haustier gestorben? Oder ist schon einmal die Frage aufgekommen, was Tod überhaupt bedeutet? Die Antworten hängen beim Tod eines vertrauten Menschen davon ab, welche religiösen Überzeugungen es in der Familie gibt. Es kann aber auch eine Erklärung sein, dass wir alle den geliebten Menschen weiter im Herzen tragen und er damit nicht ganz weg ist. Die Antworten auf Fragen nach Sterben und Tod sollten sich die Eltern vorher überlegen, weil die Kinder von der Endgültigkeit des Todes schnell überfordert sind oder den Eltern dann vielleicht die hilfreichen Worte fehlen.
Das Virus verändert das gewohnte Leben besonders stark, wenn die Kita schließt. Was istwichtig, damit die Kinder zu Hause klarkommen?
Das Wichtigste ist, weiter verlässliche Strukturen zu schaffen, zum Beispiel, indem abends besprochen wird, was am nächsten Tag passiert. Es hilft, den Plan aufzumalen und auch die Kinder nach ihren Wünschen zu fragen. Ein solcher Plan kann von Tag zu Tag neu gemacht werden, wenn sich im Laufe der Woche zu viel verändert. Aber Aufstehen, Frühstücken, Abendessen sind schon einmal ein regelmäßiger Rahmen. Dazu gehören Familienzeiten, in denen Eltern und Kinder füreinander Zeit haben, und Ruhepausen für die Kinder, aber auch für Mama und Papa. Damit sich Kinder in den Ruhepausen auch allein beschäftigen können, ist es hilfreich eine Pausenkiste zu packen, in die aber auch nur ausgewählte Sachen kommen, die nur für die Pausen da sind.
Was ist bei Schulkindern wichtig? Was ist, wenn Eltern sich auch Sorgen machen, ob die Kinder ausreichend vor einer Ansteckung geschützt sind?
Die Eltern sollten selbstverständlich Schule und Lehrer*innen fragen, welche Hygiene- und Abstandsregeln vorgesehen sind. Sie können aber auch ihre Kinder fragen, wie es zum Beispiel in der Schule ist, wenn sie auf die Toilette gehen. Damit wird auch direkt klar, ob das Kind die Regeln verstanden hat und nachvollziehen kann, warum sie notwendig sind. Auch bei Schulkindern ist es ratsam, nachzufragen, welche Vorstellungen sie sich vom Virus machen und welche Fantasien sie beschäftigen. Eltern können die Kinder auch fragen, ob sie die Hygiene- und Abstandsregeln für ausreichend halten und sich ausreichend geschützt fühlen.
Jugendliche leben schon ihr eigenes Leben und orientieren sich an Gleichaltrigen. Wie reagieren sie Ihrer Erfahrung nach auf die neuen Regeln?
Jugendliche legen gerne den Finger in die Wunde. Sie sehen, dass zwar in der Klasse die Masken getragen werden, aber auf dem Pausenhof alle ohne Maske zusammenstehen. Ich würde das Gespräch über die Regeln suchen, fragen, was sie grundsätzlich von den Regeln halten und ob Regeln deshalb unsinnig werden, weil es andere gibt, die sich nicht daran halten. Beobachtungen, dass zum Beispiel manche Erwachsene in der Bahn „sich nicht dranhalten“, sind ja richtig, aber die Regeln deshalb nicht gleich falsch. Oder sie berichten von Freund*innen, die Alkohol trinken und die Gefahr dann nicht mehr richtig einschätzen. Eltern können dann immer wieder fragen: „Und wie siehst du das?“
Ist das Weihnachtsfest in Coronazeiten besonders schwierig?
An Weihnachten muss häufig zu viel Familie gelingen. Die Erwartungen an Gemeinsamkeit und Harmonie sind so hoch wie sonst selten im Jahr. Das kann leicht schiefgehen. Corona zwingt zum Runterschalten und vielleicht sogar zu einem besseren Austausch darüber: „Wie wollen wir Weinachten dieses Jahr gestalten?“ Viele Familien sind normalerweise mit Backen, Besuchen und Reisen enorm ausgelastet. In diesem Jahr fallen vielleicht Besuche aus. Das kann auch einmal Erholung und Entspannung bedeuten. Großeltern können sich überlegen, was sie mit den Enkel*innen per Videotelefonat machen wollen. Auch per Bildschirm können sie mit Kindern und Enkel*innen gemeinsam „Tee-Trinken wie bei der Queen in England“ - einmal aus Alltäglichem etwas Besonderes machen. Ein Familienessen während der Feiertage kann auch zu einem Festgelage von Piraten auf dem Fußboden werden, bei dem verboten ist, „Bitte“ und „Danke“ zu sagen. Gerade in Coronazeiten hilft es häufig, den großen Ernst zu vertreiben und Situationen zu schaffen, in der alle zusammen lachen.
Und wie bewältigen wir die nächsten Monate bis wieder ein Leben ohne das Virus möglichist?
Familien können sich abends zusammen hinsetzen und besprechen: Was habe ich heute für den Kopf getan? Was habe ich heute für den Körper getan? Habe ich Freude und Spaß gehabt? Habe ich Kontakt außerhalb der Familie gehabt? Das sind alles Dinge, die wichtig sind, damit wir uns psychisch wohlfühlen. Wenn etwas aus der Liste immer wieder fehlt, sollten wir überlegen, wie wir das ändern können.
Die Publikation Corona-Pandemie und psychische Erkrankungen der Bundespsychotherapeutenkammer bietet weitere Informationen zu den psychischen Folgen der Corona-Pandemie.