Wer den demografischen Wandel und Bedarf an Fachkräften in Einklang bringen möchte, sollte die Generation 50plus mit ihrem großen Erfahrungsschatz noch stärker ins Auge fassen. Fakt ist, die Altersstrukturen in vielen Betrieben verändern sich so, wie sich auch unsere Gesellschaft verändert: immer mehr Ältere gehen in den Ruhestand, weniger Junge rücken nach. Um Potenziale von altersdiversen Teams voll auszuschöpfen und ältere Beschäftigte gesund und lange im Betrieb zu halten, ist es sinnvoll die Arbeitsbedingungen an individuelle Fähigkeiten und Bedürfnisse anzupassen und alternsgerechtes Arbeiten zu ermöglichen. Hier erfahren Sie, was Sie dafür tun können.
Download: Unser Leitfaden „Kein Stress mit dem Stress – Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit im demografischen Wandel erhalten und fördern" gibt hilfreiche Tipps für das alternsgerechte Arbeiten.
Inhalt
- Definition: Was ist alternsgerechtes Arbeiten?
- Aus der Praxis: Wie die Berliner Wasserbetriebe und das Elektrotechnik-Unternehmen BEA aus Hamburg älteren Mitarbeitern gerecht werden
- Interview: Wie führe und motiviere ich ältere Beschäftigte? Führungstipps von der Personalmanagerin Elke Eller.
- Mit drei konkreten Werkzeugen alternsgerechte Teams gestalten – so geht‘s!
- Und was können die älteren Mitarbeitenden tun? Influencerin für die Generation 60 plus, Greta Silver spricht Klartext.
1. Definition: Was ist alternsgerechtes Arbeiten?
Die Erwerbstätigenquote bei den Männern erhöhte sich zwischen 1990 und 2020 von 55,1 auf 75,5 Prozent und bei den Frauen von 25,3 auf 68 Prozent.
Alternsgerecht sind Arbeitsplätze, die sich den Entwicklungen und Bedürfnissen einer alternden Belegschaft anpassen. Der demografische Wandel und höhere Regelaltersgrenzen führen dazu, dass mehr Ältere in Unternehmen arbeiten. Deshalb ist es wichtig, gute Arbeitsbedingungen für sie zu schaffen. Davon profitieren letzten Endes alle Mitarbeitenden.
Der Alterungsprozess verläuft individuell sehr unterschiedlich, daher sagt das kalendarische Alter oft wenig aus. Es ist wichtig, individuelle Stärken und gesundheitliche Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu berücksichtigen und entsprechend bei der Personalbedarfsplanung und Personalentwicklung zu bedenken.
Alternsgerechte Arbeit zu ermöglichen, heißt auch vorausschauend zu agieren. Das verschiebt den Handlungsrahmen nach vorne und schließt die Arbeitsphasen im jüngeren Lebensalter ein, man spricht daher auch von ganzheitlichem Generationenmanagement.
Dabei sollten Sie folgende Handlungsfelder in Ihrem Betrieb berücksichtigen:
Gesunde Arbeitsgestaltung
Dazu zählen u. a. die ergonomische Optimierung des Arbeitsplatzes, Beratungsangebote oder Rückenschule.
Personalentwicklung und Personalbedarfsplanung
Alternsgerechte Personalentwicklung sorgt dafür, dass der Erfahrungsschatz und die Bedürfnisse der älteren Beschäftigten berücksichtigt werden. Eine strategische Personalbedarfsplanung berücksichtigt langfristig qualitative und quantitative Anforderungen an die Belegschaft. So werden Personalengpässe früh erkannt.
Führung und Unternehmenskultur
Wertschätzender Umgang fördert den Erhalt der Gesundheit und verbessert die Leistungsbereitschaft. Dazu zählt u. a. eine positive Einstellung zum Thema Alter.
2. Aus der Praxis: Wie alternsgerechtes Arbeiten konkret und erfolgreich gelebt werden kann
#1 Berliner Wasserbetriebe: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein
Rohre austauschen, Maschinen im Klärwerk kontrollieren oder sich in der Kanalisation Berlins zurechtfinden: Bei den Berliner Wasserbetrieben verfügen die Mitarbeitenden über sehr spezifisches Fachwissen, das man nicht an der Uni oder in der Berufsschule lernen kann. Wissen, über das oft Ältere verfügen. Um ihren Beschäftigten 50plus eine gute Perspektive zu geben, haben sich die Berliner Wasserbetriebe einiges einfallen lassen, was auch für KMU interessant ist.
Ein besonderes Angebot ist zum Beispiel das Lebensphasen-Coaching. „Dabei erarbeiten wir in einer individuellen Session gemeinsam, was den Beschäftigen 50plus wichtig ist, was sie erreichen möchten, sowohl beruflich als auch privat. In beruflicher Hinsicht ist es für uns gut zu wissen, wer sich mehr im Bereich Wissenstransfer engagieren oder eher eine Führungsposition übernehmen möchte. Privat ist es vor allem für die Mitarbeitenden wichtig, damit sie nach der Arbeitsphase nicht in ein Loch fallen“, erklärt Kristin Kroboth, Leiterin des Gesundheitsmanagements bei den Berliner Wasserbetrieben.
Zusätzlich gibt es den Workshop „Erfüllende letzte Berufsjahre Ü55“, der in Gruppen stattfindet. Dabei können die Beschäftigten eine konkrete Perspektive für ihre letzte Arbeitsphase erarbeiten. Im Bereich der Personalentwicklung haben die Wasserbetriebe ein Wissentransfer-Konzept entwickelt, wie sie den großen Erfahrungsschatz der Älteren sinnvoll weitergeben können „In moderierten Prozessen vermitteln sie ihr Wissen, dabei kann man in die Tiefe gehen und gibt nicht einfach nur einen Ordner von einer Person zur anderen weiter“, erklärt Yasmin Born, zuständig für Strategie im Personalbereich. Durch eine vorübergehende Doppelbesetzung von Stellen mit erfahrenen und jungen Beschäftigten wird das Know-how dann gefestigt.
#2 - BEA Bergmann – 50 ist das neue 25
Auch das Elektrotechnik-Unternehmen BEA Bergmann aus Hamburg schätzt die älteren Kolleg*innen als enorm wichtige Fachkräfte. „Im Bereich der Antennentechnik haben wir Fachkräftemangel, und wenn wir jemanden finden, der sich damit gut auskennt, spielt das Alter keine Rolle. Vor kurzem haben wir jemanden eingestellt, der 63 Jahre alt ist. Da haben wir gesagt, seine Expertise brauchen wir, auch um das Wissen auch an die jüngeren Kollegen heranzubringen“, sagt Geschäftsführer Sascha Fynn Kitschke. „Fünfzig ist für mich auch nicht alt. Mein Gefühl ist eher, dass es das neue 25 ist.“ Das Wissen der älteren Fachkräfte wird auch im Arbeitsalltag gebraucht: „Ganz viele Anlagen, an denen wir arbeiten sind alte Bauteile, die gibt es ja teilweise nicht mehr, also müssen wir sie reparieren. Und das geht eben nur durch die Kollegen, die das schon lange machen“, erklärt Kitschke.
Wenn sich Mitarbeitende dem Renteneintrittsalter nähern, wissen sie, dass sie bei den Geschäftsführenden Sebastian Meyer und Sascha Fynn Kitschke ein offenes Ohr finden.
BEA Bergmann beschäftigt Mitarbeitende im Alter von 17 bis 66 Jahren. Ein Drittel der Belegschaft ist 50 Jahre alt und älter. Wenn sie vor Ort arbeiten, sind oft Auszubildende gemeinsam mit erfahrenen Gesell*innen unterwegs. Nicht immer ist sofort das Verständnis für die andere Generation da. Aber wie so oft gilt auch hier: Reden hilft.
3. Interview: Personalmanagerin Prof. Dr. Elke Eller gibt Führungstipps für ältere Arbeitnehmende
Muss man ältere Mitarbeiter*innen anders führen als jüngere und wenn ja, was ist dabei zu beachten?
Grundsätzlich sollte sich die eigene Führungskultur nicht nach dem Lebensalter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richten. Authentizität und innere Haltung als Führungskraft führen zu Klarheit für alle Altersgruppen. Insofern würde ich eher davon sprechen, dass man die Bedürfnisse älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genauso berücksichtigen sollte wie die der jüngeren. Das macht eben eine moderne Führungskraft aus: einen eigenen Stil zu entwickeln und jeweils individuell die Teammitglieder zu führen. Vor diesem Hintergrund kann man davon sprechen, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter mit 30 Jahren Berufserfahrung natürlich anders auf das Unternehmen schaut als eine Berufsanfängerin oder ein Berufsanfänger. Oder dass mit Blick auf persönliche Entwicklungsziele oder beim Übernehmen bestimmter Aufgaben vielleicht auch eine andere Haltung da ist.
Wie können Führungskräfte ältere Mitarbeiter*innen im Arbeitsalltag besser motivieren und fördern?
Die Mitarbeitenden am Band brauchen eine andere Unterstützung als die Beschäftigten in der Verwaltung. Ich denke grundlegend für alle ist lebenslanges Lernen. Das muss nicht immer das jährliche Weiterbildungsseminar sein. Mir geht es hier um die innere Haltung als Führungskraft. Wir setzen heute digitale Tools völlig selbstverständlich am Arbeitsplatz ein. Und viele dieser Tools sind auch leicht zu bedienen – wenn man digitale Technologien auch selbstverständlich im Privatleben nutzt. Dass wir heute im Job via Messenger chatten und statt Telefonate nun Videoanrufe führen, ist für junge Menschen vielleicht die Fortführung dessen, was sie privat machen. Für viele ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist das aber eher Neuland. Als Unternehmen sollte ich mich auf solche Unterschiede einstellen und entsprechende Lernangebote machen. Und als Beschäftigte sollte ich mich auf solche Angebote einlassen.
Was raten Sie KMU: Wie sollten sie auf ältere Beschäftigte zugehen, wenn das Renteneintrittsalter näher rückt?
Gerade KMU sollten dann aktiv auf ihre älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugehen. Mein Eindruck ist oft, dass in den kleineren Betrieben die Beziehung zwischen Arbeitgebenden und Beschäftigten persönlicher und nahbarer ist als in großen Organisationen mit zehntausenden Mitarbeitenden. Darauf kann ein respektvoller Dialog über den Renteneintritt aufbauen. In Zeiten des Fachkräftemangels sollte dieses Gespräch so professionell wie ein Bewerbungsgespräch organisiert sein. Und die Gespräche sollten mit einer Offenheit gegenüber den Bedürfnissen älterer Beschäftigter einhergehen: Teilzeitmodelle, hohe Flexibilität, Auszeiten – wir reden über diese Dinge fast nur mit Blick auf die Generation Z. Dabei sind sie genauso für die Generation 50plus relevant. Unternehmen sollten zudem Konzepte entwickeln, welche Aufgaben Ältere übernehmen können und frühzeitig damit beginnen, sie in diese Richtung auch zu qualifizieren.
4. Mit drei konkreten Werkzeugen alternsgerechte Teams gestalten – so geht‘s!
Anhand der Personaldaten Ihrer Belegschaft wird die Belegschaftsstruktur nach Alter, Geschlecht, Qualifikation und Beschäftigungsstatus erfasst und entschlüsselt. Auf dieser Basis können Maßnahmen zur Personalentwicklung abgeleitet, Personalübergänge nachhaltig gestaltet und Neueinstellungen qualitativ und quantitativ? vorausschauend geplant werden.
Ermitteln Sie die Qualifikationsanforderungen Ihres Betriebs sowie die Fähigkeiten und Potenziale der vorhandenen Beschäftigten, um den Qualifikationsbedarf sowie vorhandene ebenso wie ungenutzte Fähigkeiten Ihrer Mitarbeiter*innen offenzulegen.
Mit dieser Methode identifizieren Sie Gefährdungen und Belastungen im Arbeitsalltag mit dem Ziel, sie zu beseitigen und die Gesundheit jeder*s einzelne*n Beschäftigten zu schützen und zu fördern. Je gründlicher diese ist, desto gesünder sind Ihre Mitarbeiter*innen und umso effizienter sind die Betriebsabläufe.
Tipp: Betrachten und bearbeiten Sie die drei obigen Methoden möglichst parallel, um deren Ergebnisse miteinander verknüpfen und im Zusammenhang interpretieren zu können. In einem sogenannten Arbeitsplatzkataster erkennen Sie Überschneidungen, schaffen ganzheitliche Maßnahmen und können effizienter z. B. bei nötigen Arbeitsplatzwechseln agieren. Mehr zu diesen Methoden finden Sie in unserer Broschüre „Teams und Belegschaften systematisch weiterentwickeln“.
5. Sieben Tipps für ältere Beschäftigte von Greta Silver, Influencerin für die Generation 60plus
Welche Tipps können Sie älteren Mitarbeiter*innen geben, als wertvolle Fachkräfte sichtbarer oder mehr gehört zu werden?
Nur mit Begeisterung können wir überzeugen. Eine Anordnung von oben „Jetzt seid mal bitte alle nett zu den Alten“ funktioniert nicht.
Bewahren Sie sich Ihre Aufgeschlossenheit und Ihr Interesse für Neues!
Lassen Sie sich nicht aufs Abstellgleis schieben, sondern fordern Sie zum Beispiel aktiv Fortbildungen ein!
Wenn Sie als Beschäftige 50plus den Eindruck haben, nicht mehr so relevant für Führungskräfte zu sein, trauen Sie sich nachzufragen: In welcher Arbeitssituation fehlt mir was? Wo drückt es?
Wenn Sie sich noch fit fühlen, über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten, aktiv vorschlagen: Geht es auch auf freiberuflicher Basis?
Das bringt ein ganz neues Selbstbewusstsein, denn dafür muss man sich seiner eigenen Fähigkeiten klar werden. Es macht innerlich etwas, wenn man merkt, dass man auf dem Markt gebraucht wird.
Erkennen, dass man selbst seine eigene Zukunft gestaltet und sich fragen: Was habe ich für ein Altersbild? Denn das prägt.